Gedanken zu Mk 16,1-8 (Ostersonntag)

Wann sind Sie zuletzt auferstanden?

Das klingt irritierend – aber es hilft vielleicht, drei Missverständnisse aufzuklären:
1. Der Engel im Grab redet nicht von Auferstehung, er sagt: Jesus wurde auferweckt. Und allen, die das zuerst hören oder lesen ist klar: Gott hat ihn aufgerichtet. Man kann nicht aus eigener Kraft auferstehen, dafür bedarf es der schöpferischen, belebenden Kraft Gottes.
2. Der Engel verwendet keinen theologischen Fachbegriff, er verwendet ein Alltagswort: er sagt nicht auferweckt, das fügt die deutsche Übersetzung dazu. Er sagt: aufgeweckt – so wie wir das jeden Tag tun.
Damit sollte 3. klar sein: das ist kein Wort für das Lebensende oder für nach dem Tod: aufgeweckt/aufgerichtet werden – ist ein Alltagswort, das gehört mitten ins Leben: Und deshalb erzählt MkEv viele Begegnungen, in denen Menschen mitten im Leben aufgerichtet werden: Die Schwiegermutter des Petrus, der Junge mit dem Dämon etwa. Sie werden aufgerichtet – durch die Kraft Gottes.

Aber vermutlich ist es gar nicht so einfach, dieses Aufgeweckt/Aufgerichtetwerden an sich geschehen zu lassen. Vermutlich wäre bequemer, liegen zu bleiben. Damit uns das gelingt, erzählt Markus häufig, dass Jesus Menschen dazu auffordert: Zur Tochter des Synagogenvorstehers sagt er. Talita kum – lass dich aufrichten, lass dich von Gott aufrichten. Lass diese lebensspendende initiative, die Gott mit dir vorhat. an dir geschehen.
Was mag das heute bedeuten, sich aufwecken/aufrichten zu lassen: vielleicht ermutigt zu werden mitten im erschöpfenden Alltag, gestärkt in quälenden Sorgen, sich aufgehoben wissen trotz Stress und Qual, in festgefahrenen Situationen geheilt werden, weniger im Sinne von gesund als von ganz werden, heil werden. Freilich vertrauen wir darauf, dass Gott unser Aufgeweckt/Aufgerichtetwerden im Tod vollendet, aber damit das gelingt, gilt es sich jetzt schon aufrichten zu lassen – mitten im Leben.

Was braucht es dafür?
Fragen wir Paulus: Er beschreibt seine Auferweckung mitten im Leben. Was die Apg als dramatischen Sturz vom Pferd schildert, erfährt Paulus in einer Gemeinschaft, konkret in der Gemeinde von Damaskus. Dort lernt er, was es heißt, mit Jesus zu leben, den Gott aufgeweckt/aufgerichtet hat. Dort lernt er sich selbst aufrichten zu lassen – von Gott mitten in der Gemeinde. Also: sich aufwecken/aufrichten lassen, lernt man nur in Gemeinschaft. Wir können uns nur gemeinsam aufwecken/aufrichten lassen. Auferweckung ist nichts für Individualisten.
Wir können versuchen, im Supermarkt oder Bauhaus die Kassa zu entdecken, bei der sie am schnellsten durchkommen, sie können auf der Autostraße versuchen ein paar Schleicher zu überholen, damit wir ein paar Minuten schneller am Ziel sind. Aber bei der Auferweckung können wir niemanden überholen, im Gegenteil: Wir müssen gemeinsam bei Gott ankommen. Gerade mit den Getretenen und Niedergedrückten, mit den Geschundenen und Missbrauchten. Was würde Gott sagen, wenn wir ohne sie vor ihm stehen?

Wie das geht?
Dafür gibt uns das Osterevangelium einen einfachen Schlüssel: Handeln wir wie die Frauen: Hingehen und Nachschauen. Heute vermutlich: Anrufen und nachfragen. Sich zuwenden – dem Nachbarn, der Arbeitskollegin, dem Mitarbeiter, der Familie, dem Partner, der Gemeinschaft, in der wir leben. Und darüber hinaus: den Menschen dieser Stadt, in diesem Land, in dieser Welt. Wir werden dabei sehen, was wir nicht sehen möchten: Not und Elend, schwierige psychische Verfassung und harte Schicksalsschläge – Sie rufen in uns Entsetzen und Furcht hervor, wie bei den Frauen in unserem Evangelium.
Aber der Engel weist uns den Weg.

Die Osterbotschaft der Evangelien kennt keine Pauken und Trompeten. Aufrichten/aufwecken geschieht im Stillen – von innen her. Ostern ist kein Wellnessbereich, keine Erfrischung, Ostern fordert uns heraus: Geht hin und schaut nach – wie die Frauen, ruft an und fragt, wendet euch zu. Darin werdet ihr aufgeweckt/aufgerichtet – und tragt dazu bei, dass andere in eurer Gemeinschaft aufgerichtet werden, dass sie die belebende Kraft Gottes spüren – das ist der Weg aus dem Grab der Enttäuschungen, der Weg aus dem Tod an Einsamkeit und Verlorenheit mitten im Gewühl des Alltags: Hingehen und nachschauen. In die Nähe und in die Ferne, in die Nachbarschaft und in die Welt. Und dann: Geht und sagt es den Schwestern und Brüdern – Jesus ist auferweckt.
Und wie er aufgeweckt/aufgerichtet wurde, so dürfen wir uns aufwecken und aufrichten lassen: miteinander – vom Gott unseres Lebens!
(c) Wolfgang Wagerer